Die Zwänge in der islamistischen Gesellschaft sind vergleichbar mit jenen im Kapitalismus, so die These von Cabaret-Voltaire-Direktor Philipp Meier. Die Burka-Debatte mal aus einem anderen Blickwinkel betrachtet:
Sie sagen, der Silikonbusen sei die Burka des Kapitalismus. Das tönt reichlich absurd.
Es geht in beiden Fällen um den Körper der Frau – das ist das verbindende Element. Gewisse radikale oder orthodoxe Kreise des Islam verlangen, dass die Frauen sich verhüllen. Im Kapitalismus ist die Doktrin sozusagen komplementär – und es geht ja auch nicht nur um den Silikonbusen, sondern um unseren Schönheitswahn im Allgemeinen. Statt uns auf die Verschleierung der islamischen Frauen zu konzentrieren, sollten wir uns lieber fragen, warum viele Frauen sich in unserer Kultur gezwungen sehen, sich dem Schönheitsdiktat zu beugen.
Im Fall der Burka wird die Doktrin aber von einem System auferlegt. Im Fall der Schönheitsoperationen legen die Frauen sich diesen Druck selber auf, was ja genau der Witz unseres Systems ist: Wir haben die Wahl, uns aus freien Stücken ins Unglück zu stürzen oder nicht.
Das stimmt eben nicht. Natürlich sind diese Zwänge nicht so einfach zum Ausschlachten wie bei einer Burka. Aber sie bestehen und werden durch die Medien und die Werbung etabliert. Das hat eine solche Wirkung auf gewisse Leute, dass diese meinen, sich operieren zu müssen.
Nach Ihrer Logik müsste man also sagen: Wenn Burkas verboten werden, muss man auch Schönheitsoperationen verbieten.
Ich würde es natürlich umgekehrt formulieren – die Burka zu verbieten ist genau so absurd, wie wenn man Schönheitsoperationen verbieten würde. Mich interessiert aber vielmehr folgender Punkt: Wir zeigen gern mit dem Finger auf andere und nennen sie Barbaren, weil die Frauen sich verhüllen müssen und haben im Gegensatz völlig vergessen, dass wir unsere Frauen in gewissem Sinne in ähnlich absurde Umstände zwingen.
Trotzdem stehen dahinter keine Herrschaftsstrukturen. Der Zwang zur Schönheitsoperation ist etwa so gross, wie der Zwang, sich im Supermarkt für diesen oder jenen Joghurt entscheiden zu müssen – so funktioniert nun mal der Kapitalismus.
Das Erfolgsmodell des Kapitalismus ist, dass wir uns nicht mehr bewusst sind, welche Zwänge er überhaupt generiert. Doch es ist so: die totale Ökonomisierung generiert ihre eigenen Zwänge. Und umgekehrt reden wir in Bezug auf den Islam auch immer nur von den Extrembeispielen – aber längst nicht alle Frauen werden unter den Schleier gezwungen und es gibt in dieser Frage, wie sehr man sich verhüllen möchte, wohl ähnlich viele Abstufungen wie bei uns bezüglich Beauty-Management.
Nun wird kein vernünftiger Mensch in einem islamischen Land seine Silikonbrüste auspacken und spazierenführen – da kann man umgekehrt ebenso verlangen, dass die Leute aus anderen Kulturkreisen sich den hiesigen Gepflogenheiten anpassen.
Hier greife ich auf das Argument der Minarettdiskussion zurück. Wenn die Moslems die christlichen Kirchen in Hinterhöfe und Keller verdrängen, müssen wir das kopieren? Wir sollten doch vielmehr zeigen, dass wir die Grösse haben, liberal damit umgehen?
Bei der Burka-Diskussion geht es um ein Kernproblem: die Stellung der Frau. Was immer man vom Kapitalismus halten mag, man muss ihm zugute halten, dass er die Gleichberechtigung befördert hat – die islamischen Gesellschaften stehen da an einem völlig anderen Punkt.
Da sind wir uns einig. In dieser Hinsicht müsste man auch das Thema Zwangsehen angehen.
Also ist der Kapitalismus doch nicht nur böse?
Keineswegs, aber ich denke, wir sollten uns etwas kritischer mit den Zwängen unseres Systems beschäftigen, bevor wir mit den Fingern auf die anderen zeigen. In China wurde beispielsweise Avatar verboten, weil die chinesischen Behörden Proteste wegen der Zwangsumsiedlungen der eigenen Leute befürchteten. Und alle finden diese Zwangsumsiedlungen ganz schlimm. Aber auch im Westen werden ganze Landstriche entvölkert, weil niemand mehr Arbeit findet. Nur spricht hier niemand von Zwangsumsiedlung, weil wir unser kapitalistisches System für eine Art Naturgesetz halten.
Quelle: Basler Zeitung
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