29 deutsche Autoren und Wissenschaftler setzen in dem Sammelband "Islamfeindlichkeit" der angeblichen Islamkritik fundierte Sachlichkeit entgegen. Telepolis sprach mit dem Herausgeber, dem Islam- und Politikwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders.
Herr Schneiders, der Titel Ihres Bandes lautet "Islamfeindlichkeit", nicht etwa "Islamophobie". Weshalb? Der letztere Begriff beschreibt doch gemeinhin Vorurteile und diskriminierende Verhaltensweisen gegenüber Muslimen – und um nichts anderes geht es in dem Sammelband.
Thorsten Gerald Schneiders: Den Begriff "Islamophobie" halte ich für kritisch, weil er unpräzise ist. Zudem dient er beiden Seiten als Kampfbegriff. Eifernde Muslime nutzen ihn als Totschlagargument, um auch berechtigte, fundierte Kritik an ihrer Religion abzulehnen. Und die "sogenannten Islamkritiker" nutzen ihn, um alle Kritik an ihrer unsachlichen Kritik abzuschmettern und diese so durchzuboxen. Gegen dieses gegenseitige Aufeinandereindreschen wollten wir von Anfang an ein Zeichen setzen.
Zudem geht es bei dem Begriff "Phobie" um Ängste. Diese sind aber nicht immer vorhanden. Die Mitglieder der rechtspopulistischen Bürgerinitiative Pro-NRW, die unter anderem ein europaweites Minarettverbot anstrebt, wissen beispielsweise durchaus über die muslimische Religion und deren Institutionen Bescheid. Akademisch gesehen ist es ein Halbwissen, dennoch wissen sie mehr als der Normalbürger. Sie agieren also weder aus Angst noch aus Unwissenheit heraus, sondern greifen gezielt Aspekte auf, die ihnen zupass kommen, und betreiben damit eine ideologisch besetzte Propaganda.
In Ihrem eigenen Beitrag fokussieren Sie unter anderem Henryk M. Broder, Ralph Giordano, Necla Kelek und Alice Schwarzer, die Sie als "sogenannte Islamkritiker" titulieren. Ist das nicht eine recht moderate Bezeichnung? Immerhin fallen all diese Personen doch durch Provokationen auf, die oft greller und verfälschender nicht sein könnten.
Thorsten Gerald Schneiders: Um diese und auch andere Personen genau einzuordnen, müsste man sich im Einzelnen mit ihnen und den Aspekten ihres Schaffens auseinandersetzen. Jedenfalls von den zwei- bis dreihundert Seiten eines Buches von Kelek, Schwarzer oder Broder sind sicher nicht alle komplett unsachlich und falsch. Insgesamt aber ist ihre Argumentation unlogisch, undifferenziert und fahrlässig. Sie arbeiten mit Mechanismen, die persönliche Ziele verfolgen und keineswegs im Dienst einer seriösen Kritik am Islam stehen. Weder hat einer der Genannten Islam- oder zumindest Religionswissenschaft studiert, noch ist bekannt, dass einer von ihnen Arabisch spricht. Dennoch treffen sie immer wieder theologische oder historische Aussagen.
Dessen ungeachtet schimpfen und klagen sie an, ohne dabei je Konsequenzen aufzuzeigen. Was etwa soll die Konsequenz aus Ralph Giordanos Aussage "Der Islam ist das Problem" sein? Dass man den Islam verbietet? Den Koran verbietet? Dass alle Muslime ihrem Glauben so weit abschwören, bis er zufieden ist? Dass man alle Muslime aus dem Land wirft? Die – wie ich sie nenne – "sogenannten Islamkritiker" mögen mit dergleichen Gedanken spielen, lassen aber letztlich alles offen. Eben darin liegt die Gefahr. Sie sorgen für sozialen Sprengstoff und für bewusste Polarisierung in der Gesellschaft, wenn man so will, liefern sie den Zunder für die Hetze.
Die ablehnende bis feindliche Haltung gegenüber Muslimen ist in Deutschland eindeutig vertreten, wie Jürgen Leibold von der Universität Göttigen in seinem Beitrag darlegt. Zumindest glaubten im Jahr 2005 57,9 Prozent derer, die im Rahmen des Forschungsprojektes "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" befragt wurden, dass der Islam hierzulande seine Macht ausweiten wolle. Das sind Ansichten, die auch in anderen Ländern in der westlichen Hemisphäre vorzufinden sind. Wie erklären Sie sich soviel Mainstream?
Thorsten Gerald Schneiders: Vermutlich benötigt der Mensch tatsächlich permanent ein Feindbild, um sich selbst zu definieren. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion scheint sich die Rolle hier jedenfalls auf die Muslime verlagert zu haben.
Das ist auch durchaus praktisch, da sich der Islam keinem politischen Spektrum zuordnen lässt und somit als zu besetzendes Feindbild sowohl für rechte wie für linksextremistische Strömungen attraktiv ist.
Zudem ist der Islam auch hervorragend nutzbar für die persönlichen Ziele rechtspopulistischer Akteure, die einen bewusst rassistischen Auftritt scheuen. Aber "Islamkritik" ist en vogue – bisweilen wird man wird man von den sogenannten Islamkritikern in deutschen Radio- und TV-Diskussionen ja förmlich angeschrien, endlich Klartext gegen Muslime zu reden. So erhalten diese Akteure ihr Deckmäntelchen.
Hier spielt eine angeblich pathologische deutsche Zurückhaltung hinein, nach dem Motto: ‚An und für sich kritisieren wir ja nie etwas, hier aber dürfen wir endlich. Und nicht nur das –wir müssen es sogar, um auch unseren politischen Beitrag zu leisten.'
Wie der Philosoph und katholische Theologe Heiner Bielefeldt in seinem Beitrag betont, ist der Islam längst fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft. Daran gibt es nichts zu rütteln. Die Frage nach seiner echten Integration hingegen ist noch unbeantwortet. Halten Sie den von Bundesinnenminister Schäuble vorgeschlagenen islamischen Religionsunterricht an deutschen Schulen für einen gangbaren Weg?
Thorsten Gerald Schneiders: Muslimische Kinder bleiben hierzulande alleine zurück, während die anderen in den evangelischen oder katholischen Unterricht strömen. Sie dürfen dann Hausaufgaben machen, Nachhilfestunden nehmen oder still in der letzten Reihe sitzen. Das signalisiert ihnen: Ihr seid anders - wenn ihr Christen wärt, würdet ihr dazu gehören.
Verschärft wird das dadurch, dass sich viele junge Muslime über ihren Glauben definieren. Zwar betrachten sie Deutschland – und nicht etwa die Türkei oder andere Länder - als ihre Heimat, sehen sich aber von der Mehrheitsbevölkerung nicht akzeptiert. Also akzentuieren sie ihre Religion, auch wenn sie oft nicht einmal sonderlich religiös sind und über ihre Religion genauso viel bzw. wenig wissen wie ein Großteil der christlichen Jugend über seine. Aber ihre Religion kann man ihnen nicht absprechen.
Ein konfessioneller Unterricht würde ihnen einen fundierten Zugang zu ihrer Religion ermöglichen, ihnen deutsche Begrifflichkeiten wie etwa "Pilgerfahrt", die manche nicht mal kennen, klar machen. Es geht also auch um Bewusstmachung und Artikulation. Die Schüler können sich selbst besser kennenlernen und sich leichter zu Wort melden – was wiederum zum Dialog mit Nicht-Muslimen und zum gegenseitigen Verständnis beiträgt. Daher plädiere ich für konfessionellen Unterricht in den unteren Jahrgangsstufen und für Ethik oder Philosophie in den höheren, wenn die Schüler ihren Glauben bereits kennen.
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