Sunday 16 May 2010

Wie man zum Moslem gemacht wird

Fremd und bedrohlich wirken auf uns heute vor allem Muslime. Früher fürchtete man sich einfach vor dem Ausländer.

Aus der Kolumne von Deniz Baspinar in Die Zeit:
Stellen sie sich vor, Sie unterhalten sich auf einer Party mit einer ihnen bisher unbekannten Person. Nach einigen Minuten werden Sie gefragt, wie Sie als Christ zum Zweiten Vatikanischen Konzil stehen und im weiteren Verlauf des Gespräches möchte ihr Gegenüber wissen, wie Sie es mit dem päpstlichen Verhütungsverbot halten.
Das käme ihnen bestimmt seltsam vor. Sie würden sich vielleicht fragen, warum sie als Christ und Katholik angesprochen werden. Sie definieren sich doch gar nicht über ihre religiöse Identität. Auch wenn sie an Gott glauben und noch die Gebete der Kindheit beherrschen.
Solche Situationen sind für Muslime in Deutschland gang und gäbe. Sie müssen sich permanent mit religiösen Identitätszuschreibungen auseinandersetzen.
Das Bild, das wir uns vom Fremden machen, unterliegt einem steten kulturellen Wandel. Seit dem 11. September ist es geprägt von der vermeintlichen religiösen Andersartigkeit. Muslim zu sein, ist die aktuelle Chiffre für das Fremde und Bedrohliche. Türkische oder arabische Migranten beispielsweise werden nicht mehr als Ausländer, sondern als Moslems angesprochen. Religion wird zu einem zentralen Beschreibungsmerkmal, zum zentralen Kriterium bei der Konstruktion des Fremden.
Als Türkin war man früher auf einer Party die Türkei-Erklärerin vom Dienst. Der deutsche Gesprächspartner befragte einen nach dem Vorhandensein jeder einzelnen zivilisatorischen Errungenschaft: Habt ihr das Frauenwahlrecht, Universitäten und fließendes Wasser? Man nippte an seinem Getränk und bewahrte die Contenance. 
Heute muss man sich bereits beim Aperitif rechtfertigen, warum man als Muslima das Alkohol-Verbot des Islam missachte und die ultimative Gretchenfrage beantworten: "Wie hältst du es mit dem Kopftuch?" Das Kopftuch ist Material gewordenes Symbol für eine Religion, die Unbehagen und Angst auslöst. Ihre Trägerinnen ziehen Aggressionen auf sich, denn an ihnen wird das Unbehagen zu einem konkret fassbaren Ding.
Die Ermordung der Ägypterin Marwa al-Scherbiny ist eine Einzeltat und trotzdem ist sie symptomatisch. Es ist davon auszugehen, dass bei einer vergleichbaren Tat vor zehn Jahren die Tat nicht explizit islamophob begründet worden wäre, sondern mit ganz "normalem" Ausländerhass. 
Diese Wahrnehmung des Fremden als einer in erster Linie religiös identifizierten Person steht jedoch in keinem Verhältnis zur Lebenswirklichkeit der Muslime in Deutschland. Auch wenn reißerische Medienberichte aus den Randzonen der Gesellschaft ein anderes Bild suggerieren.
Die Sinus-Studie über Migranten-Milieus in Deutschland aus dem Jahre 2008 beziffert die Zahl der Zugehörigen zum religiös verwurzelten Milieu, das strenge und rigide Wertvorstellungen vertritt, mit gerade mal sieben Prozent.
Danke an Leyla und Michael fuer den Hinweis

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