Thursday, 13 May 2010

Hat Necla Kelek die Deutungshoheit?

Ein lesenswerter Artikel von Michaele Schlagenwerth auf Berlinonline:
Vor einigen Jahren, damals tobte in den deutschen Medien erbittert der Kopftuch-Streit, wiederholte die Soziologin Necla Kelek immer wieder Folgendes: Man dürfe das Kopftuch nicht verharmlosen, man müsse sich klarmachen, dass die Frauen mit Kopftuch die Frauen, die keines tragen, für Huren halten.
Mit der Realität der "normalen" Kopftuchträgerinnen hatte das schon immer herzlich wenig zu tun. Das konnte man wissen, auch wenn man persönlich keine einzige Muslima kannte. Man musste dafür nur im Bus oder in der U-Bahn sehen, wie alte Frauen, die eine mit, die andere ohne Kopftuch, vertraut und freundschaftlich beieinander saßen oder Teenager mit und ohne Kopftuch eifrig tuschelnd ihre Köpfe zusammen- steckten.
Trotzdem wurde Keleks Behauptung fast flächendeckend von den Medien aufgegriffen. Denn sie schien, auch wenn sie mit dem Alltag der einfachen, der "normalen" Muslime nichts zu tun hatte, eine Wahrheit über "den" Islam zu enthalten. Ebenso verhält es sich seitdem mit vielen anderen Statements von Necla Kelek. So oft wie wohl keine andere wird die promovierte Soziologin von Printmedien, Radiosendern und in Fernsehtalkshows eingeladen, um zu islamischen Themen Stellung zu nehmen. Und gern wird ihr dabei das, was sie zu berichten hat, geglaubt. Etwa, dass die Islamkonferenz und der gesamte Dialog mit den Islamverbänden gescheitert sei, weil diese "zu keinem Dialog fähig sind". Und dass Integration mit dem organisierten Islam nicht gelingen kann, vor allem weil dieser nicht bereit sei, sich zu säkularisieren.
Der Wandel wird ignoriert
Dabei ist seit geraumer Zeit genau ein solcher Säkularisierungsprozess im Gange, wie Necla Kelek ihn einerseits fordert und gleichzeitig für unmöglich erklärt. Immer entschiedener bekennen sich die großen Islamverbände zu Demokratie und Pluralismus, immer selbstverständlicher arbeiten die einzelnen Moscheevereine vor Ort mit der Polizei, mit Schulen, in Berlin etwa auch mit dem Quartiersmanagement zusammen. Sie suchen den interreligiösen Dialog und laden vor Wahlen Politiker in ihre Moscheen ein. Kurz: Ganz aktiv beginnen sich die Moscheevereine in das politische und gesellschaftliche System Deutschlands zu integrieren. Sie setzen das um, was Wolfgang Schäuble unermüdlich gefordert hat: Der Islam kommt in Deutschland an.
Aber während sich in den Moscheevereinen in den vergangenen Jahren also erstaunlich viel getan hat - was nicht heißt, dass es nicht noch genug zu kritisieren gäbe -, ist etwas Merkwürdiges geschehen. Die meisten Islamkritiker, die eben diese Veränderungen eingefordert haben, weigern sich nun, sie zur Kenntnis zu nehmen. Sie sind es jetzt, die mit ihren Positionen auf der Stelle treten.
Anders als die wesentlich differenzierter argumentierende zweite bekannte Islamkritikerin in Deutschland - die Rechtsanwältin Seyran Ates - ist Necla Kelek selbst in die Kritik geraten. In der Süddeutschen Zeitung wurde sie, wenn auch ironisch, gar als "Hasspredigerin" bezeichnet. Seitdem tobt unter anderem ein Streit darüber, ob man eine Islamkritikerin überhaupt kritisieren darf.
Es ist ein merkwürdiger Streit, der etwas Wichtiges, nämlich den Stand der Islamfeindlichkeit in Deutschland zum Thema hat - aber nicht die Richtigkeit der dazugehörigen, etwa von Necla Kelek vertretenen Positionen. Noch weniger wird gefragt, welche Rolle Kelek und ähnlichen Islamkritikern eigentlich innerhalb des öffentlichen Diskurses zuteil wird.
Empört ob der an Kelek geübten Kritik fragt die Schriftstellerin Monika Maron im Spiegel, wer sich da die Deutungshoheit anmaße - bei einem Konflikt, an dem man selbst nur mittelbar beteiligt sei. Von Entmündigung ist gar die Rede.
Das aber ist eine ziemlich interessante Frage, nämlich, wer bei der öffentlichen Debatte um den Islam tatsächlich entmündigt wird. Lange wurden in die Talkshows nur solche Muslime eingeladen, die extreme Positionen vertraten. Imame etwa, die Frauen nicht die Hand gaben, weil ihnen das ihrer Auffassung nach durch ihre Religion verboten sei. Tat man versehentlich einen Missgriff und lud eine fortschrittliche Muslima wie etwa die konvertierte Islamwissenschaftlerin Rabeya Müller ein, dann lud man sie, wie es Müller bei Sandra Maischberger geschah, kurzerhand wieder aus. Schließlich wollte man keine Gäste präsentieren, mit denen man den Anschein erweckte, den Islam zu verharmlosen.
Verändert hat sich dies in einem gewissen Maße erst durch Wolfgang Schäubles entschiedenes Eintreten für die Integration des Islam in Deutschland. Indem er, der Innenminister, sich auch mit den konservativen Muslimen an einen Tisch setzte, gab er ein Zeichen, das weit über alle Diskussionen und ausgehandelten Ergebnisse der Islamkonferenz hinaus von enormer Wichtigkeit war: Er machte die Muslime gesellschaftsfähig. Er hebelte damit das fatale Prinzip aus, dass man Muslimen kein Forum geben dürfe - außer als Schreckbild, weil alles andere eben einer Verharmlosung des Islams gleich käme.
Das heißt noch lange nicht, dass reformerischen muslimischen Kräften nun in den Medien viel Platz eingeräumt würde. Im Dezember hat sich in Berlin etwa das Aktionsbündnis Muslimischer Frauen als Verein gegründet. Frauen mit und ohne Kopftuch gehören diesem Bündnis an, gemeinsam machen sie für mehr Frauenrechte in den Moschee-Vereinen mobil. Sie fordern nicht bessere Tapeten in ihren Räumen, sondern unter anderem mehr Plätze in den Vorständen. Die muslimischen Frauen befinden sich insgesamt in einem großen Aufbruch. Den Medien aber ist das kaum eine Meldung wert. Denn solche Meldungen stoßen im Unterschied zu dem, was Necla Kelek zu erzählen hat, auf kein besonders großes Interesse.
Sie bohrt in Wunden
Necla Kelek bedient die Vorurteile, die viele vom Islam haben und auch unbedingt behalten wollen. Doch so sehr man ihre Rolle hinterfragen sollte, es steht auch außer Frage, dass es viel Mut braucht, um den Islam zu kritisieren, so wie Necla Kelek es tut. Ebenso braucht es Mut, mit seiner Kritik einer Kultur entgegenzutreten, in der öffentliche Kritik verpönt ist. Dass so jemand über das Ziel hinausschießt, liegt vielleicht in der Natur der Sache.
Und selbstverständlich bohrt Necla Kelek mit ihrer Kritik in Wunden, die es tatsächlich gibt. Ihre wütenden und unaufhörlichen Anprangerungen von Zwangsehen, von Abschottungen in den Moscheen und anderen Rückständigkeiten haben, auch wenn die Kritisierten es nicht zugeben, diese selbst aufgeschreckt. Sie haben am Ende sogar den reformerischen Kräften gerade in den konservativen Vereinen geholfen, die eigenen Rückständigkeiten den Mitgliedern unter die Nase zu reiben und Veränderungen in Gang zu bringen.
Nur wäre Necla Kelek und den anderen "Beton"-Kritikern zu wünschen, sie könnten diese Fortschritte endlich auch zur Kenntnis nehmen.

Danke an Michael fuer den Hinweis.

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