Tuesday, 20 April 2010

Broder mal anders: Schmusen heisst Reden

Hier ist etwas zum Abschalten: Broder redet mit 'Kumpel' Gil Bachrach ueber's Schmusen, und vieles mehr. Es ist erfrischend, mal etwas nicht polemisches, hetzerisches von Dirty Henryk zu lesen. Naja, fast richtig. Ich muss mich ein bissl korrigieren. Lest bis zum Schluss, dann wisst ihr, was ich meine. Er kann es halt nicht anders ;)
Gil Bachrach: Du willst also über Sex reden. Warum?

Henryk M. Broder: Je älter ich werde, desto mehr merke ich, dass mich von allen Themen, über die ich je gearbeitet habe, Sex am meisten interessiert. Sex ist das einzige universelle Bindeglied, das die Menschheit zusammenhält. Die Vorstellung, dass ein Fellache im Nildelta, ein Hindu in Rajasthan, ein Katholik im Allgäu es im Prinzip auf die gleiche Art machen, die ist betörend. Die essen unterschiedlich, die wohnen unterschiedlich, die waschen sich unterschiedlich. Die haben eine völlig verschiedene Haltung zur Zivilisation, aber in dem einen Punkt sind sie alle gleich. Das Zweite ist, dass sich im Prinzip am sexuellen Verhalten über die Jahrtausende nichts geändert hat. Eine archaische Form der primären Begegnung, an der einfach nichts reformiert werden kann. Sex ist ein Kommunikationsmittel, bei dem du alles, was du brauchst, immer bei dir hast. Du hast jetzt einen Computer, du hast ein Telefon. Du hast irgendein Gerät, mit dem du schreibst und um das Interview mit mir zu führen. Für Sex brauchst du nichts. Du bist sozusagen immer einsatzbereit.

Bachrach: Sehr dramatisch, die Sicht. Gibt es jüdischen Sex?

Broder: Das Jüdische am Sex ist, dass man über Sex redet.

Bachrach: Ist das der Grund, warum Sex mit jüdischen Frauen komplizierter ist als mit nicht jüdischen Frauen? Weil sie mehr reden?

Broder: Das ist ein Thema, über das ich gerade recherchiere. Ich bin mitten in der Feldarbeit. Ich weiß nicht, ob jüdische Frauen dabei mehr reden, ob sie sich genauso artikulieren wie nicht jüdische Frauen. Juden sind einfach verbaler. Ich weiß, das ist eine rassistische Haltung, aber es stimmt. Sie neigen auch dazu, Situationen kaputtzureden, und auch ich habe immer Menschen beneidet, die sich nonverbal verständigen konnten. Schon als 18-, 19-Jähriger habe ich Männchen gemacht, Geschichten erzählt, Jazzplatten aufgelegt und bin damit erbärmlich gescheitert. Irgendwann kam immer irgendein stark gewachsener Sportfreak, guckte die Braut nur an und zog mit ihr davon. Eine schwere Kränkung, an der ich bis heute leide. Jüdisch ist, dass ich auch über dieses Leiden rede. Unser vielleicht größtes Drama ist: Es gibt keine jüdische Dominanz in der Politik, der Finanzwelt, der Wirtschaft – nirgendwo. Es gibt eine jüdische Dominanz in einem einzigen Bereich, in der Unterhaltung. Man findet kaum einen großen Operettenkomponisten, der kein Jude war, oder einen guten Hollywoodkomiker von Woody Allen bis Jerry Seinfeld, der kein Jude ist. Das ganze Filmgeschäft wurde von Juden erfunden. Sie haben eine unglaubliche Vorliebe fürs Erzählen.

Bachrach: Bei dir ist das also auch so.

Broder: Meine Erzählwut war früher ein absolutes Handicap. Ich habe wirklich Leute in die Ecke gequatscht, und danach lief nichts mehr, auch bei den Mädels. Inzwischen hat sich das gewandelt. Entweder steht das Erzählen heute höher im Kurs, oder ich rede weniger, wovon ich eigentlich kaum ausgehen kann. Nein, ich wollte noch etwas anderes sagen: Es gibt eine jüdische Tendenz, die Dinge auf den Punkt zu bringen oder aus dem Punkt wieder herausholen, und das ist natürlich das zentrale Moment der Unterhaltung. Nicht zufällig heißt unterhalten im Jiddischen farvayln, verweilen . Ein wunderbares Wort, ursprünglich Mittelhochdeutsch, gibt es heute gar nicht mehr. Du verweilst, also erzählst du, und das zweite jiddische Wort für unterhalten ist shmuesn. Schmusen hat nicht umsonst eine Doppelbedeutung. Shmuesn ist zum Beispiel, wenn ich dir ans Knie fasse und mich langsam zur Gürtellinie vorarbeite. Aber die eigentliche Bedeutung von shmuesn ist: ein Gespräch miteinander führen. Die Nähe von Reden und Knutschen ist im Wort Shmues also angelegt – das ist eine jüdische Domäne, und du wirst große Mühe haben, einen Sexualforscher zu finden, der kein Jude ist.

Bachrach: Weil sie als Erste darüber geredet haben?

Broder: Ja. Obwohl mein Freund Oswalt Kolle – ein Jahrhundertreformer, der Martin Luther der Sexualaufklärung – kein Jude ist. Er sieht das als sein einziges Handicap und sagt selbst: »Zur Abrundung meines Berufsbildes fehlt mir, dass ich Jude bin.«

Bachrach: Sind Juden sexbesessener als Nichtjuden?

Broder: Im Prinzip glaube ich nicht, dass Juden geiler sind als Nichtjuden, aber sie geben es eher zu. Es gibt eine Stelle in Mein Kampf von Adolf Hitler, einem Buch, das ich sehr schätze, weil es Weisheiten enthält, die dem Autor selber nicht bewusst waren. An einer Stelle schreibt Hitler, nicht wörtlich, aber sinngemäß: »Da steht der lüsterne Judenjüngling mit seinen gelockten Haaren und stiert der blonden arischen Jungfrau hinterher.« Das stimmt, das machen wir den ganzen Tag. Die Nichtjuden machen’s auch, aber die reden nicht darüber. Unsereiner macht daraus gleich eine Geschichte, und das ist der Unterschied.

Bachrach: Ist das auch in der Bibel schon so?

Broder: Die Bibel ist ja ein unglaublicher Schweinkram. Ich glaube, sie steht inzwischen auf der Liste der jugendgefährdenden Schriften ganz oben. Ob es in der Bibel schon so war oder nicht, finde ich nicht so interessant, aber guck mal – ein Jude wie Felix Saiten schreibt Bambi, diese wunderbare Geschichte. Bambi, das Reh mit diesen unschuldigen großen Augen. Dann hat er von seinem eigenen Kitsch die Nase voll und schreibt das Buch des Jahrhunderts: Josefine Mutzenbacher . Einen größeren Kontrast könnte es gar nicht geben. Kannst du dir Hermann Hesse vorstellen, der soeben Siddharta beendet hat, und dann schreibt er über geile Bauernburschen in der Heide? Undenkbar. Bei den Juden geht das. Sie haben einfach eine Affinität zu den lebenserhaltenden Funktionen. Wenn es nicht ums Essen geht, geht’s um Sex, wenn’s nicht um Sex geht, geht’s um Essen, und meistens, bei guten jüdischen Autoren wie Philip Roth und Isaac Bashevis Singer, geht’s um beides.

Bachrach: Sind Juden weniger verklemmt oder verklemmter als Nichtjuden? Es gibt ja für beides eine Lesart.

Broder: Ich glaube, dass Juden im Prinzip weniger verklemmt sind. Das hat zwei einleuchtende Gründe: Es gibt im Judentum kein Zölibat. Wenn du als Rabbiner nicht verheiratet bist, kommst du nicht weit. Was vollkommen richtig ist – du sollst genauso leiden wie jeder Familienmensch.

Bachrach: Die Juden haben ja die Monogamie nicht erfunden.

Broder: Diesbezüglich haben sie sich leider angepasst. Es gibt zwei furchtbare Fehlentscheidungen im Judentum: Die eine war, die Polygamie abzuschaffen, die andere, Schalentiere für nicht koscher zu erklären. Zwei Fehler des Judentums, die wahrscheinlich auch einen gewissen Beitrag zum Antisemitismus geleistet haben. Man kann sich aber als Jude diesen beiden Geboten entziehen, ohne Gefahr zu laufen, dafür gesteinigt zu werden. In der Tat glaube ich, dass Juden eine offenere, klarere und positivere Beziehung zur Sexualität haben als Nichtjuden. Im Talmud wird der Mann sogar verpflichtet, die sexuellen Wünsche der Frau zu erfüllen.

Bachrach: Ist Sex also bei Juden ein Alltagsthema, vollkommen frei von Verboten und Schuld?

Broder: Oh, die Schuld, genau! Die Schuld ist auch eine jüdische Erfindung. Schlechtes Gewissen ist ja die Grundlage des Judentums. Schlechte Manieren und schlechtes Gewissen sind die beiden Säulen, auf denen das Judentum ruht, nimm eines weg, und es bricht zusammen.

Bachrach: Ich dachte, Schuld ist ein Privileg der abendländischen christlichen Welt. Bei uns gibt es doch immer noch ein lachendes Auge dabei.

Broder: Ja gut, Juden ironisieren alles, selbst den eigenen Untergang. Das ist eine eingebaute Stärke, die das absurde Abenteuer Leben überhaupt erträglich macht. Aber das mit den Schuldgefühlen ist bei Juden und bei Christen anders gesetzt. Bei den katholischen Christen zum Beispiel kann Schuld abgewälzt und abgearbeitet werden, zum Beispiel durch die Beichte. Früher konnte sie durch Ablasszahlungen aus der Welt geschafft werden. Diese Instrumente haben wir leider nicht.

Bachrach: Wir haben Jom Kippur.

Broder: Jom Kippur ist nur ein Tag im Jahr. Nein, ich bedaure sehr, dass es im Judentum keine Beichte gibt, keinen Ablass und keine Klöster. Das würde sehr viele Probleme schlagartig lösen.

Bachrach: Wie meinst du das?

Broder: Du beichtest was und fängst wieder von vorn an. Die Klöster lösen das Problem der jüdischen Prinzessinnen, die unbemannt auf der Strecke geblieben sind, und führen sie einer nützlichen sozialen Tätigkeit zu: Krankenschwester, Pflegerin, was auch immer. Und du hast nicht diese Truppe an verbitterten 50-Jährigen, die glauben, dass sie ihr Leben vergeigt haben.

Bachrach: Überzutreten – war das für dich oder deine Frau mal ein Thema?

Broder: Meine Frau Hilda ist katholisch, und ich würde ihr im Leben kaum etwas übel nehmen, außer sie würde konvertieren. Die Bärbel-Schäfer-Nummer mache ich nicht mit. Ich bin ziemlich misstrauisch Konvertiten gegenüber. Und die Eltern meiner Frau sagten, ein Protestant kommt uns nicht ins Haus, ein Jude ist okay. Juden, die aus der Tradition ausbrechen, bekommen übrigens Strafmilderung. Es gibt einen riesigen Zirkus, aber am Ende ist es doch egal, ob einer übertritt oder nicht. Was gibt’s bei Muslimen? Ehrenmord.

Bachrach: Du wolltest nur über Sex reden – und am Ende haben wir doch über alle Dramen des jüdischen Daseins gesprochen.

Broder: Nein, wir haben nur über Sex gesprochen!
Quelle: Die Zeit 

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