Sunday, 11 April 2010

Himmelsreise: Zurueck auf dem Boden der Realitaet

In den Medien hat sich wieder mal eine kritische Autorin das letzte Pamphlet von Necla Kelek vorgenommen. Unter dem Titel Ein Hoch auf Atatuerk rechnet Claudia Keller im Tagesspiegel mit den Verallgemeinerungen und SchwarzWeiss-Malereien des Frau Doktor's schonungslos ab. Hier einige Auszuege:
Die Wirklichkeit ist selten schwarz-weiß, sondern meistens bunt. Das gilt auch für das Leben von türkischen und arabischen Einwanderern in Deutschland. Die Soziologin Necla Kelek lässt nicht mal Grautöne zu. So war es in ihren vorherigen Studien. So ist es diesmal. Das neue Buch „Himmelsreise. Mein Streit mit den Wächtern des Islam“ bündelt ihre Islamkritik und zeichnet ein Bild dieser Glaubensgemeinschaft, das so schwarz ist wie der Tschador, den die Musliminnen in Berlin-Neukölln angeblich alle tragen: Muslime sind zurückgeblieben, frauenfeindlich und gewalttätig. Sie zwingen ihre Töchter in Ehen und ihre Söhne zu Ehrenmorden. Sie schwören Blutrache und wollen die Welt beherrschen. Und zwar schon bald, Achtung: „Die Islamisierung Europas ist bereits eine ’materielle Gewalt’“, schreibt Kelek. 
Wer das anders sieht, ist für Kelek ein Lügner, Schönredner oder schlichtweg ein naiver Trottel wie der frühere Bundespräsident Roman Herzog oder Ex-Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble. Schon allein das Bestreben, etwas verstehen zu wollen, ist für die Autorin eine schlimme Sache. „Im harten integrationspolitischen Alltag ist eine solche ’verstehende’ Haltung faktisch eine Kapitulationserklärung“, heißt es in der Einleitung.[...]
[...]Diese Gruppe, das seien die gläubigen Muslime, schreibt Kelek. 50 Seiten weiter sind aus den gläubigen Muslimen „aktive“ Muslime geworden, die den Koran wortwörtlich nehmen und deshalb ihre Frauen vergewaltigen, die Kinder missbrauchen und die Töchter in den Selbstmord treiben. Doch was unterscheidet einen gläubigen von einem aktiven Muslim? Kelek lässt es offen. Wieder ein paar Seiten weiter sind aus den Gläubigen und Aktiven die „muslimischen Mitbürger“ an sich geworden, die ihr Leben an den Pflichten des Islam ausrichten und nicht am Rechtsstaat. Das aber verstoße gegen die Gesetze, findet die Autorin und ist am Ende ihrer Kette von Verdächtigungen angelangt: Muslimische Einwanderer sind nicht nur verbohrte Frauen- und Kinderschänder, sondern auch gefährliche Staatsfeinde. Und zwar alle. Beweise für diese Verallgemeinerungen bleibt sie schuldig.[...]
[...]Es gipfelt in den immer gleichen Zirkelschlüssen: Der Islam ist nicht reformierbar, wer daran glaubt, ist selbst nicht reformierbar und erst recht kein guter Demokrat. 
Geradezu absurd sind Keleks Ausführungen über das Christentum, das als positive Folie für Abgründe im Islam herhalten muss. Jesus ist für die Soziologin eine Art Vorkämpfer der Säkularisierung, da er lediglich ein sündiger Mensch gewesen sei und anders als Mohammed keine göttlichen Eingebungen empfangen habe.[...]
[...] Den türkischen Kemalisten wie den deutschen Linken ist Religion per se verdächtig und wird höchstens als erkaltetes kulturelles Substrat geduldet. Genau das möchte Kelek auch für den Islam erreichen: Die Hitze des Glaubens soll gefälligst verdampfen. „Es geht nicht an, sich im 21. Jahrhundert auf Wahrheiten und Worte aus dem 7. bis 10. Jahrhundert zu berufen“, schreibt sie. Aber was würde bleiben, wenn sich die Christen nicht mehr auf die Bibel berufen dürften, die ja noch älter ist? Weihrauch und Entspannungsmeditation? [...]
[...]Diesmal reduzieren sich ihre Beispiele aus dem realen Leben auf Erfahrungen, die sie während der Lesereisen in deutsche Kleinstädte macht, wo sie offenbar regelmäßig von bärtigen „Islamwächtern“ beschimpft wird. Als sie das Buch vor zwei Wochen in Berlin vorstellte, saß nur das typisch großstädtische Bildungsbürgertum in den Stuhlreihen im Kino Babylon: Generation 55 plus, meist weiblich, die Herren grauhaarig. Man war sich in der Angst vor dem Islam einig. Von Islamwächtern keine Spur. 
Dass Necla Keleks Bücher immer weniger Recherche enthalten, dafür aber umso mehr Meinung und scharfe Töne, ist typisch für die gesamte Debatte über den Islam. Die Schwierigkeiten, mit denen Einwanderer in Deutschland kämpfen, und die Erfolge, die sie erzielen, interessieren immer weniger, je mehr sich die Diskussion über sie aufheizt.[...]
[...] Aber Positives ignoriert die Autorin. Oder sie tut es von vornherein ab: „Was aus der kritisch-rationalen Beschäftigung an einigen Hochschulen hervorgeht, hat keine praktische Wirkung auf die Gläubigen“. 
Denn Kelek und ihren Kritikern geht es mittlerweile vor allem um: Deutungshoheit. Da stören Unterscheidungen nur. Und wenn sich die Debatte am weitesten von ihrem Ursprung entfernt hat, fällt in der Regel der Nazi-Vergleich. Bei Kelek ist es etwa bei der Hälfte des Buches so weit. [...]
Es ist erfreulich zu sehen, dass sich mehr und mehr kritische Stimmen ueber die 'streitbare' Frau Kelek  erheben, und ihre Methoden anzweifeln. Bei so einem wichtigen Thema, wie die Integrationdebatte, kann man das Feld nicht alleine einer Person ueberlassen, die keine Differenzierungen zulaesst.

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