Ein sehr guter Artikel aus der Sueddeutschen Zeitung:
Mit ihrer Äußerung zu Kreuzen in Klassenzimmern hat die designierte Integrationsministerin von Niedersachsen Aygül Özkan Empörung ausgelöst. Doch sie fordert nur, was bereits Recht und Gesetz ist.
Die hitzige Diskussion um das Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichtes hat sich so in die Erinnerung eingebrannt, als sei sie erst gestern gewesen. Doch falsch: Bereits 15 Jahre ist es her, dass die Karlsruher Richter die bayerische Vorschrift, dass in jedem Klassenzimmer ein Kreuz zu hängen hat, für verfassungswidrig erklärt.
Seitdem ist das Thema aber mitnichten vom Tisch, auch weil es in jedem der 16 Bundesländer unterschiedlich geregelt ist und das Kreuz noch immer an vielen Wänden hängt. Da braucht es nur eine Aussage eines Politikers, eine neue Verwaltungsvorschrift oder ein Gerichtsurteil und die Kreuze sind sich wieder in den Schlagzeilen.
So auch dieses Wochenende, als die CDU-Politikerin Aygül Özkan in einem Interview sagte, dass religiöse Symbole an staatlichen Schulen nichts zu suchen hätten. "Die Schule sollte ein neutraler Ort sein", sagte die designierte Integrationsministerin von Niedersachsen.
Dass sie damit genau das gleiche sagt wie das Bundesverfassungsgericht hilft ihr nicht viel. Vor allem aus der eigenen Partei hagelt es Kritik. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe findet, das Kreuz habe in Schulen selbstverständlich seinen Platz, Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff distanziert sich von Özkans Haltung und die Schüler-Union fordert sie gar auf, ihr Amt nicht anzutreten.
Von der Empörung, die der Deutschtürkin aus der Schwesterpartei CSU entgegenschallt, nicht zu reden - diese hatte auch schon vor 15 Jahren die Entscheidung der Verfassungsrichter aufs Schärfste angegriffen. Dabei schreckten die Christsozialen vor haarsträubenden Formulierungen nicht zurück.
Der damalige bayerische Kultusminister Hans Zehetmair erklärte, die Entscheidung rüttele "an den Grundfesten unseres demokratischen, abendländischen Staates"; der CSU-Landtagsabgeordnete Karl Freller, ehemals als katholischer Religionslehrer tätig, orakelte, nun müssten "50.000 Kreuze auf den Scheiterhaufen". Bayerische Katholiken organisierten Massendemonstrationen. Das Ehepaar, dass die Kruzifix-Frage vor das Verfassungsgericht brachte, erhielt Morddrohungen.
Die Landesregierung konterte mit einem neuen Gesetz, welches das Urteil quasi ad absurdum führt. Danach sind Kreuze weiterhin in bayerischen Pflichtschulen vorgeschrieben - jedoch nur, solange sie niemanden stören. Erheben Eltern eines Schülers Einspruch, muss das Kruzifix abgehängt werden.
Damit hat sich zumindest in Bayern wenig geändert, denn nur etwa zwanzig Mal pro Jahr besteht jemand auf die Entfernung des Symboles. Vielleicht hängen jetzt sogar mehr Kreuze als in den neunziger Jahren. Denn wie nicht wenige Lokalzeitungen während des Kruzifix-Streites berichteten, hatten viele Schulen die Kreuze gar nicht hängen - was erst während der Debatte aufgefallen war.
Parallele Kreuz und Kopftuch
Die Frage von religiösen Symbolen in Klassenzimmern schlug seitdem immer wieder hohe Wellen, auch weil es nicht mehr nur um das christliche Kreuz, sondern immer öfter um das muslimische Kopftuch geht. Gerne wird hier in der Diskussion ein Unterschied gemacht: Das Kreuz gilt als akzeptabel, das Kopftuch keineswegs.
Zum Beispiel wurde in Hessen gegen das Kopftuchverbot eine Klage eingereicht, obwohl es gar keinen konkreten Fall gab. Der Staatsgerichtshof entschied: Die Regelung sei verfassungsgemäß, da sie religiöse Kleidung im Allgemeinen betreffe. Ein zu auffälliges Kreuz sei genauso verboten wie ein muslimisches Kopftuch.
Ums Kruzifix an der Wand ging es dann wieder im Februar 2010, als die Stadt Düsseldorf es in seinen Gerichtssälen abhängte. Auch dagegen liefen Christdemokraten rhetorisch Sturm. Politisch hielt sich die Landesregierung raus: Es sei Sache der jeweiligen Verwaltungseinheit.
2009 fällte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sein "Kruzifix-Urteil" und kam auf die gleiche Regelung wie die deutschen Richter. Religiöse Symbole in Schulen verstoßen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Klägerin war in diesem Fall eine italienische Mutter.
Ob Kreuz oder Kruzifix, die designierte Ministerin Özkan hat eine klare Linie: Sie hat in ihren Interviews am Wochenende klargemacht, dass sie jegliche religiöse Symbole in staatlichen Schulen ablehnt.
0 comments:
Post a Comment