Sunday 18 April 2010

Lamya Kaddor im Interview

Im Tagesspiegel findet man heute ein Interview mit Lamya Kaddor. Sie spricht u.a. ueber ihre Erfahrungen als Lehrerin mit muslimischen Schuelern, ueber die Integration, Islam, Ausgrenzung und auch ueber ihr eigenes Leben. Hier einige Auszuege:
[...]
Ihre Erfahrungen als Lehrerin an einer Hauptschule im Problemviertel Lohberg sind nicht dazu angetan, das Image des Islam zu verbessern. Ihre muslimischen Schüler haben schlechte Noten, hängen einem altertümlichen Ehrbegriff an, sind oft gewalttätig. 
Diese Probleme haben nichts mit der Religion, sondern mit der sozialen Herkunft zu tun. Sie betreffen auch viele der deutschstämmigen Jugendlichen. Meine muslimischen Schüler sind auch gar nicht religiös, sie behaupten das nur, um sich abzugrenzen. Die meisten sind Deutschtürken: In Deutschland werden sie nicht als Deutsche, in der Türkei nicht als Türken akzeptiert. Also bleibt die Religion als Identitätsfaktor. Im Islam ist es einfach, dazuzugehören. Sie müssen keine besonderen Vorleistungen erbringen, um die Religion für sich anzunehmen. Trotzdem wissen meine Schüler so gut wie nichts darüber.
Sie wollen, dass sich Ihre Schüler kritischer mit der Religion auseinandersetzen?
Genau, kritisch im Sinne von Hinterfragen. Ich frage sie auch: Gibt es Gott? Da sagen die: Um Himmels Willen, so was darf man nicht fragen![...]
Erwarten die Jungs an Ihrer Schule wirklich, dass ihre künftige Frau als Jungfrau in die Ehe geht?
Teilweise schon, weil sonst die Familienehre beschmutzt ist. Sich selbst nehmen sie aber aus. Bei all dem berufen sie sich auf den Koran – dabei müssen, wenn man dem Koran folgt, beide Geschlechter keusch in die Ehe gehen. Ich mache das konfrontativ im Unterricht: Ich nehme mir jemanden heraus, von dem ich weiß, er hat eine Freundin. Dann erzählt der, wie lange sie schon zusammen sind. Ich frage: Dürfte das deine Schwester auch? Antwort: Nein, wer soll sie denn heiraten, wenn sie keine Jungfrau ist? – Ach, du würdest keine Frau heiraten, die keine Jungfrau mehr ist? – Nö. – Und warum bist du keine Jungfrau mehr?
Wie reagieren dann die Mädchen?
Die freuen sich. Sie wissen ja, dass die meisten männlichen Klassenkameraden Freundinnen haben. Die Mädchen haben auch Freunde, aber im Geheimen. Deshalb sagen sie nichts. Was die Mädchen am meisten ärgert, sind die Jungs, die hinter ihnen herschnüffeln. Eine Schülerin war mit ihrem Freund mal in Oberhausen und wurde dort von einem aus Duisburg gesehen. Der hat das sofort weitergetragen.
Warum begehren die Jugendlichen nicht gegen diese überkommenen Traditionen auf?
Weil sie gar nicht in der Lage sind, zu hinterfragen. Ihnen fehlt es an Bildung.
[...]
Warum haben Sie selbst sich so anders entwickelt als viele Ihrer Schüler?
[...]Meine Eltern kommen aus Syrien, aus dem städtischen Umfeld. Sie sind auch schulisch ungebildet. Aber Disziplin, sich bilden – das war ein großer Wert bei uns. Ich wurde immer gefragt, wie die Klausur gelaufen ist, meine Mutter war hinterher, dass ich Hausaufgaben mache, auch wenn sie inhaltlich nichts verstanden hat. Und doch habe auch ich oft das Gefühl, nicht dazuzugehören. Seit dem 11. September 2001 wird man als Muslim sehr anders angesehen.
Wie äußert sich das?
Vor dem 11. September hat sich niemand darum geschert, dass ich im Zug manchmal arabische Texte lese. Heute gucken die Leute komisch.
Passiert Ihnen so was auch unter Kollegen?
An meinem ersten Tag als Islamlehrerin sagte die Kollegin, die mich der Klasse vorstellte: Achtet mal darauf, wie gut die Frau Kaddor Deutsch spricht! Das saß. Da fühlte ich mich wie eine Ausländerin, obwohl ich nie eine gewesen bin.
Wie reagieren Ihre Schüler auf solche Situationen, in denen sie als Ausländer behandelt werden?
Mit Rückzug. Oder sie sagen: Scheiß Deutsche, scheiß Nazis! Wenn Sie einen pubertierenden 17-Jährigen vor sich haben, türkischer Herkunft, aus sozial schwachem Milieu, ungebildet, Bodybuilder, kahl rasiert – was glauben Sie, wie der reagiert? Da kriegt der andere eins drauf.
Was kann denn, zum Beispiel von Seiten der Politik, getan werden, damit mehr muslimische Kinder so aufwachsen wie Sie – mit Disziplin und Bildung?
Es müssen mehr Kampagnen mit Vorbildern gestartet werden. Jugendliche müssen verstehen, dass Bildung sehr wichtig für Ihre Zukunft ist und dass es eben Sinn macht, zur Schule zu gehen und eine vernünftige Berufsausbildung zu absolvieren.
Die Islamkritikerin Necla Kelek macht den Islam dafür verantwortlich, dass in türkischen Familien vieles schief läuft. In „Die verlorenen Söhne“ schreibt sie, dass im Koran das Recht auf Rache verbrieft sei. In Sure 17, Vers 33 steht: „Und tötet niemand, den zu töten Gott verboten hat, außer wenn ihr dazu berechtigt seid! Wenn einer zu Unrecht getötet wird, geben wir seinem nächsten Verwandten Vollmacht zur Rache.“
Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das steht auch im Alten Testament. Der Koran ist ein Zeugnis des 7. Jahrhunderts. Er spricht zu seiner Zeit. Damals war Rache an der Tagesordnung. Zu sagen, deshalb wird auch heute gemordet, ist schon theologisch falsch. Die Typen, die heute ihre Schwestern wegen der Familienehre umbringen, haben sicher nicht Sure 17 gelesen. Diese Typen haben den Koran nie aufgeschlagen.
Kelek behauptet, der Islam habe sich nicht weiterentwickelt. Er lasse sich nicht verändern.
Wo steht das? Im Koran nicht. Der appelliert: Setzt euren Verstand ein. Der Koran ist ja auch kein einheitliches Buch, sondern sehr schwer verständlich und widersprüchlich. Deshalb muss er in jeder Epoche neu interpretiert werden. Frau Kelek ist Soziologin, ihre Stärke liegt darin, die Probleme, die Wertvorstellungen einiger Muslime zu beschreiben. Sie sie ist keine Islamwissenschaftlerin, keine Theologin. Ihr Rückschluss, dass die Religion an allem schuld sei, ist Quatsch.
[...]
Als Vorbild, wie die Mehrheit mit der muslimischen Minderheit umgehen sollte, nennen Sie ausgerechnet die USA.
Ich will Amerika nicht rosarot malen. Bezeichnend ist, dass die Leute dort sagen: We are Muslim-Americans, egal wo sie ursprünglich herkamen. Hier behauptet dagegen noch kaum jemand voller Stolz: Ich bin deutscher Muslim. Und das hat natürlich damit zu tun, dass in den USA jeder Ami ist, der sich zu den Werten des Landes bekennt und halbwegs die Sprache sprechen kann. Das ist in Deutschland längst nicht so. Zudem sind die amerikanischen Muslime gebildeter, die meisten kamen als Studenten ins Land.
[...]
Sie wollen einen Verein der liberalen Muslime gründen. Warum?
Um der schweigenden Mehrheit eine Stimme zu geben. Leuten, die ein normales Leben leben, die gläubig sind, deren Leben sich aber eben nicht nur um die Religion dreht.[...]
Warum schweigt die Mehrheit denn überhaupt – zum Beispiel zum islamistischen Terror?
Viele befinden sich in einem Dilemma: Wieso muss ich mich, der ich mir nichts habe zu Schulden kommen lassen, ständig für Terroristen rechtfertigen? Zumal ein großer Teil der Opfer des Terrors Muslime sind. Die konservativen Verbände sagen dazu wirklich zu wenig. Und alle anderen, die liberaleren Stimmen, sind Einzelpersonen.
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Für radikale Muslime müssen Sie dagegen eine ungeheure Provokation sein.
Manche Fundis schreiben mir, dass ich den Islam verwässern und falsch darstellen würde. Islamhasser wiederum glauben, ich sei die Schlimmste von allen: Ich würde mich nur als Liberale tarnen und wollte eigentlich missionieren
[...]
Was der Unterschied zwischen hetzen und aufklaeren ist, das kann man sehr gut an den Personen Necla Kelek und Lamya Kaddor festmachen. Waehrend Necla Kelek immer wieder pauschalisiert und diffamiert, z.B. alleine einer Volks- und Religionsgruppe die Versaeumnissen der Integration die Schuld gibt, und auch in erster Linie ihr vorurteilbehaftetes Klientel bedient, sieht Lamya Kaddor alles differenzierter.  Sie erkennt den Unterschied zwischen Kultur und Religion, und das viele Probleme mit der Diskriminierung, sozialen Schicht und Bildung der Migranten zu tun haben. Hier ist das gesamte Interview.

1 comments:

Anonymous said...

Danke für die Texthinweise.

Das sind sehr interessante Artikel. Jemand wie Lamya Kaddor sollte man in der Tat mehr öffentliches Gehör schenken, als z.B. einer Necla Kelek.

Sie differenziert stärker, ordnet die Faktoren in den Kontext ein und bemüht keinerlei Feindbilder.

Eine starke Persönlichkeit.